Alles anders – Goldsteig Ultra Race 2019

Alles anders – Goldsteig Ultra Race 2019

Bereits zum zweiten Mal nehme ich die 160 Kilometer lange „Kurzstrecke“ des Goldsteigs unter die Sohlen. Die Streckenführung hat sich, im Vergleich zum Vorjahr, nicht geändert, meine Ausgangslage hingegen schon. Wie es mir erging könnt ihr im folgenden Bericht nachlesen.

Hinweis: Ich empfehle vor dem Lesen dieses Laufberichts den Bericht aus 2018 zu lesen. Ich werde, in diesem Bericht, versuchen die Unterschiede zum letzten Jahr in den Fokus zu setzen und daher weniger als sonst auf die Strecke eingehen. Die Bilder können, durch Anklicken, vergrößert werden.

Vorbereitung

Im letzten Jahr habe ich mich das ganze Jahr über auf den Goldsteig vorbereitet, es war mein, bis dahin, mit Abstand längstes Rennen. In diesem Jahr lag mein Fokus auf dem Hexenstieg, bei dem ich, im April, den zweiten Platz erringen konnte. Die 216 Kilometer Harz und die knochenharte Vorbereitung haben mir sehr viel abverlangt. Nach dem Wettkampf war daher eine längere Regenerationspause unumgänglich.
Nach Abschluss der Regeneration lief ich zwar wieder hohe Wochenumfänge, jedoch nur selten länger als Marathon. Ich verfolgte keinerlei Trainingskonzept und hatte den Goldsteig überhaupt nicht im Fokus. Erst zehn Wochen vor dem Wettkampf begann ich wieder gezielter zu trainieren. Genau in der Zeit fing ich mir eine Erkältung ein, die mich zwei Wochen außer Gefecht setzte. Mit Wiederaufbau, nach dieser Zwangspause, war schon fast die halbe Vorbereitungszeit vorbei.
Weitere Probleme bereitete mir mein Magen: Nach zwei verpatzten 24 Stunden Läufen wurde, bei einer Untersuchung, eine Sorbitunverträglichkeit festgestellt. Sorbit ist ein Alkoholzucker, der in nahezu allen Obst- und Gemüsesorten vorkommt. Dadurch musste ich meine Ernährung komplett umstellen, während der Umgewöhnung fehlte mir häufig Kraft- und Energie für lange Läufe. Auch werde ich, im Wettkampf, keine Energieriegel oder Gels mehr verwenden können.
Um die „gelungene“ Vorbereitung abzuschließen, stürzte ich auf dem letzten langen Lauf, vor dem Rennen, und schlug mir dabei Knie und Arm auf. Am Montag vor dem Start humpelte ich noch durch das Haus, unsicher ob ein Start überhaupt noch in Frage kommt. Auf Grund der positiven Entwicklung in den Tagen vor dem Start, entschied ich mich dazu, es zu versuchen.

Zielsetzung

Auf Grund der schlechten Vorbereitung ist mein Ziel einfach: Ankommen und wenn möglich nicht in die zweite Nacht müssen, was das Erreichen des Ziels nach wenigstens 36 Stunden voraussetzt. Im letzten Jahr habe ich 26:53 benötigt. Das Zeitlimit liegt bei 48 Stunden.
Ein zweites wichtiges Ziel ist es denn Lauf unverletzt zu überstehen, denn ich habe einen Freistart für den „Arberland Ultratrail“ erhalten, denn ich zusammen mit Amak, bereits in einer Woche, unter die Sohlen nehmen möchte. Im letzten Jahr wäre ich, eine Woche nach dem Rennen, noch nicht wieder in der Lage gewesen eine technische 40 Kilometer Strecke zu laufen.
Drittes Ziel ist es, mich noch einmal mit der Strecke vertraut zu machen. Das nächste Jahr werde ich, im Rahmen des Megarace, wieder auf dieser Strecke unterwegs sein. Ich hoffe einen positiven Eindruck mitnehmen zu können.

Support und Ausrüstung

Da sich die berufliche Situation meiner Frau geändert hat, steht sie mir dieses Jahr nicht als Support zur Verfügung. Ebenso muss ich, aus dem gleichen Grund, auf hündische Unterstützung verzichten.
Mir stehen somit nur die zwei offiziellen Versorgungspunkte zur Verfügung, ein kleiner Wasserpunkt etwa bei Kilometer 30 und eine größere Aid-Station bei Kilometer 85. Alles was ich dazwischen benötige, muss in meinem Rucksack Platz finden. Ich entscheide mich, für die bewerte Kombination aus Rucksack und Laufgürtel, die ich bereits beim Hexenstieg verwendet habe. Ebenfalls werde ich Trailrunning Stöcke einsetzen, um meine Beine an den vielen Anstiegen zu entlasten. Neu ist die Forerunner 945 Laufuhr am Handgelenk, anders als meine alte Fenix 3 verfügt das Model über eine integrierte Karte.
Die Pflichtausrüstung ist nach wie vor sehr umfangreich, so das mein Rucksack am Ende randvoll gepackt ist.

Donnerstag – Anreise und Briefing

Zunächst hatte ich vor, erst am Starttag anzureisen, da das Rennen erst um 12 Uhr beginnt, wäre das möglich gewesen. Letztlich entschied ich mich jedoch für die entspanntere Variante und buchte mich in das „Meister Bär Hotel“ in Marktredwitz ein. Hier findet auch das Briefing statt.
Mit dem Zug komme ich am Donnerstag gegen 14 Uhr im Hotel an, nach dem Einchecken nehme ich meine Startunterlagen in Empfang. Das Shirt gibt es dieses Jahr direkt bei der Anmeldung statt wie zuletzt im Ziel. Ansonsten erhalten wir zwei Startnummern, Goldsteig Aufnäher sowie einen Aufkleber vom Veranstalter.
Da der große Saal des Hotels, von einer anderen Veranstaltung, belegt ist, findet das Briefing in zwei kleineren Gruppen im Speiseraum statt. Bis dahin habe ich noch genug Zeit.
Diese nutze ich um einmal durch die Stadt zu einer großen Fastfood-Kette zu gehen. Das Essen mag zwar ungesund sein, dafür aber hochgradig standardisiert, was gut für mich ist. In einem Restaurant sorbitfreie Nahrung zu bekommen ist nahezu unmöglich und damit immer ein Risiko. Auf den Weg durch die Stadt nehme ich freudig zur Kenntnis, dass mein Knie nahezu schmerzfrei ist, nur ein ganz kleiner Widerstand ist zu spüren.
Wieder im Hotel ruhe ich mich noch etwas aus, bis es an der Zeit ist zum Briefing zu gehen. Es sind bei Weitem nicht alle Starter anwesend, kaum mehr als 10 Teilnehmer haben sich versammelt, darunter einige Wiederholungstäter wie ich. Michael Frenz, der Organisator, geht in kurzen Worten die Strecke durch. An der Streckenführung hat sich, im Vergleich zum Vorjahr, nichts geändert, lediglich der erste Versorgungspunkt befindet sich nicht mehr direkt in Falkenberg, sondern kurz hinter der Ortschaft.
Nach zwanzig Minuten ist alles gesagt, was es zu sagen gibt. Die Stimmung ist locker, aber nicht so euphorisch wie letztes Jahr, was wahrscheinlich an dem deutlich kleineren Personenkreis liegt.
Den Rest vom Abend verbringe ich entspannt im Hotelzimmer, schaue noch etwas fern, telefoniere mit meiner Frau, Dusche und lege alles für morgen zurecht. Das ist definitiv entspannter als letztes Jahr, wo wir nach der Besprechung noch eine lange Autofahrt vor uns hatten und im Zelt übernachteten.

Freitag – vor dem Start

Ich greife ausgiebig beim Frühstücksbuffet zu, nach einiger Zeit gesellt sich Michael dazu. Wir unterhalten uns ausgiebig über den bevorstehenden Lauf, aber auch über das Megarace im nächsten Jahr. Vor allem das Thema „Ist das noch eine Laufveranstaltung“ bleibt bei mir haften. Schon auf meiner „Kurzstrecke“ gehe ich davon aus, das ich weite Teile marschieren werde, das ergibt sich zum einem aus dem Gelände, zum anderen aus den vielen Anstiegen, die laufen „unwirtschaftlich“ machen. Im letzten Jahr, habe ich versucht, möglichst viel zu laufen, bis ich, von meinem Körper, zum Marschieren und schließlich zum Schleichen verdammt wurde. Auf der 661 Kilometer Langstrecke muss man sich seine Kräfte noch strategischer einteilen und es fällt mir schwer zu glauben, das ich, nächstes Jahr, beim Megarace, an Tag 9 oder 10 überhaupt noch laufen werde. „Unter dem Begriff Ausdauer-Challenge können wir uns doch alle wiederfinden.“ Sagt Michael zu dem Thema und da bin ich bei ihm.
Nach dem Frühstück besorge ich mir noch ein paar Brötchen beim Becker – mein sorbitfreier Proviant für das Rennen. Danach packe ich meinen Rucksack final und ziehe mich um.
Abgabe der Dropback und Kontrolle der Pflichtausrüstung findet hinter dem Hotel statt. Besonders die Kontrolle fällt eher oberflächig aus, einige Athleten starten mit Laufwesten in denen unmöglich alles hineinpassen kann, was verlangt wird. Kurz nach dem Start, als ich noch in einer Gruppe laufe, wird das Thema von einigen Mitläufern, die ebenso wuchtigen Rucksäcken wie ich tragen, säuerlich zur Sprache gebracht. Ich selbst wäre hier entweder für eine schärfere Kontrolle oder die Umwandlung von Pflichtausrüstung zu einer Ausrüstungsempfehlung, oder eine Verkürzung auf die wirklich essentiellen Dinge. Wobei meine Packliste so oder so nicht viel kürzer ausfallen würde, im Idealfall braucht man das meiste nicht, beim Hexenstieg habe ich aber praktisch meine vollständige Ausrüstung ausnutzen können/müssen.

2019

Nachdem alles erledigt ist möchte ich ein paar Fotos vom Start aufnehmen, ich hohle meine Kamera aus dem Laufgürtel heraus, doch das Gerät verweigert den Dienst. Nur das Batteriesymbol blinkt auf dem Display. Ich fluche, den Akku hatte ich erst gestern aufgeladen, wahrscheinlich hat sich die Kamera unbeabsichtigt selbst angeschaltet. Das ist mehr als ärgerlich für mich, aber auch nicht zu ändern, daher reduziere ich das Gewicht, was ich mit mir herumschleppe, um ca. 300 Gramm und verstaue die Kamera im Dropback. Anfänglich versuche ich ein paar Bilder mit der Handykamera aufzunehmen, die ist jedoch so schlecht, dass sich der Aufwand nicht lohnt. Bis auf wenige Ausnahmen stammen daher die verwendeten Fotos, in diesem Bericht, aus dem letzten Jahr.

Unter den Startern ist auch Kerstin, wir schreib im gleichen Forum und sind uns, in diesem Jahr, bereits auf mehreren Laufveranstaltungen begegnet. Sie ist hier um die 661 Kilometer unter die Füße zu nehmen. Ich wünsche ihr viel Glück dabei. Gemeinsam nehmen wir noch einige Fotos vor dem gewaltigen Goldsteig Banner, in der Hotelhalle, auf.

2019

Die restliche Zeit verbringe ich mit Smalltalk. Auf eine Fotosession vor dem Hotel wird dieses Jahr verzichtet, stattdessen machen wir uns pünktlich auf den Weg zum Start.
Nach etwa 15 Minuten erreichen wir den Auenpark, Beginn des Goldsteiges und wie im letzten Jahr Startort. Wir nehmen Fotos auf und schwören uns auf den Start ein. Das letzte Jahr hatte ich einen sehr aufgeregten Hund an meiner Seite und meine Frau auf der Seite der Fotografen, mit einem noch aufgeregterem Tuaq an ihrer Seite. In diesem Moment fühle ich mich recht einsam.

2019

Das Rennen – Nach Falkenberg

Ich erinnere mich gut an diesen ersten Abschnitt, neu ist für mich nur die Perspektive. Es ist kein Amak dabei, der mich direkt vom Start aus an die Spitze katapultiert. Ich lasse es langsam angehen, laufe mitten im Feld mit. Auch muss ich nicht überlegen ob wir, nach den ersten zwei Kilometern, den Goldsteig Schildern folgen müssen, sondern biege direkt in Richtung der angrenzenden Ortschaft ab. Diese Streckenkenntnis schafft Sicherheit, ich weiß, was mich erwartet.
Es dauert nicht lange, bis die große Gruppe in viele kleine zerfällt. Unbeabsichtigt, aber immerhin registriert, schiebe ich mich wieder in eine der Vorderen. Ich übernehme die Navigation und muss dazu nur selten einen Kontrollblick auf die Karte an meinem Handgelenk werfen. Mir kommt es vor, als wären seit meinem letzten Besuch erst wenige Wochen vergangen.

2019

Nach gut fünf Kilometern erreichen wir den ersten Anstieg, an einem Waldrand führt ein Feldweg hinauf. Auf der Seite haben sich eine Hand voll Zuschauer versammelt, die uns anfeuern. Ich wechsel sofort ins Marschieren und arbeite mich den Hang hinauf, es folgt eine Trailpassage. Das letzte Jahr bin ich hier ins Rutschen geraten und fast genau an der gleichen Stelle passiert es wieder, doch wie im letzten Jahr, kann ich mich fangen – Glück gehabt.

2019

Ein kurzes Stück Trail, dann erreichen wir einen Taalkessel, auch dieses Jahr beeindruckt mich der Ausblick, ich werde jedoch abgelenkt von einem Läufer, der im halsbrecherischen Tempo an uns vorbei hetzt, „Na der wird noch Spaß haben“ raunt einer meiner Mitläufer eh wir, nun wieder auf befestigtem Feldweg deutlich verhaltener antraben.
Wenig später erreiche ich meinen persönlichen VP1, hier habe ich mich letztes Jahr zum ersten Mal mit meiner Frau getroffen. Etwas gegessen und getrunken und Amak gegen Tuaq getauscht. Fast erwarte ich, die zwei am Wegesrand stehen zu sehen, aber dort wartet natürlich niemand und mein Weg führt den Hang hinauf auf den nächsten Wald zu.
Über einen Wurzelpfad durchquere ich den Wald, überquere eine Straße und laufe an ein paar Häusern vorbei. Vor mir beginnt der nächste Trail. Das letzte Mal bin ich hier leicht vom Kurs abgekommen, da offizieller Track und Goldsteig Markierungen sich nicht decken. Den gleichen „Fehler“ begeht auch die Gruppe vor mir, ich deute noch in die richtige Richtung, aber dann sind die Drei schon auf und davon. Mein Weg führt direkt am Waldrand entlang, ihrer durch den Wald. Mit Hilfe der Stöcke kann ich den Anstieg mühelos bewältigen, ich hatte im letzten Jahr unterschätzt, wie stark man seine Beine so entlasten kann.
Wenige Minute marsch später sehe ich die drei Ausreiser einige Meter vor mir auf eine Straße einbiegen. Sie laufen, ich marschiere und schon bald sind sie auf und davon.

2018

Etwa eine Stunde und fünfzehn Minuten bin ich bereits unterwegs und habe 11,5 Kilometer zurückgelegt. Ich fühle mich gut, habe Spaß und das Gefühl gut in das Rennen gestartet zu sein. Plötzlich sackt mein linkes Bein weg, fast wäre ich seitlich in den angrenzenden Straßengraben gestürzt. Für einige Herzschläge bin ich überzeugt, dass mein problematisches Knie, von dem ich bislang noch überhaupt nichts gemerkt habe, nachgegeben hätte, bis mir klar wird, das ich keinerlei Schmerzen spüre und den Sturz mühelos auspendeln konnte. Mein Blick fällt auf meinen linken Stock, besser gesagt auf den Griff, denn alles unter dem ersten Glied des Faltstocks fehlt. Fluchend sammel ich die Trümmer auf, nach dem Ausfall der Kamera ein zweiter herber Verlust. Erst falte ich auch den zweiten Stock zusammen, entscheide mich dann aber dagegen, „Einer ist besser als Keiner“, besonders bei den ganzen Anstiegen die noch vor mir liegen.
Wenig später erreiche ich einen Parkplatz, ein Campingwagen steht am Straßenrand und einige flüchtig bekannte Personen davor. Die Support Crew eines anderen Läufers. Kurz entschlossen steuer auf die Gruppe zu und bitte sie den kaputten Stock für mich zu entsorgen, weitere 180 Gramm weniger zum Herumschleppen.

2018

Es folgt der Anstieg zur Felsenburg Weißenstein, auch dieses Jahr ein imposanter Anblick. Der Abstieg gestaltet sich ohne laufwütigen Hund als einfacher, aber auch deutlich weniger rasant. Inzwischen laufe ich alleine, wann genau ich die übrigen verloren habe weiß ich nicht mehr genau, war es vor oder nach dem Stockausfall? Gedankenverloren folge ich den Waldwegen, entdecke die Stelle an der, der Weg das letzte Jahr wegen Baumfällarbeiten gesperrt war und verpasse auch die Abbiegungen nicht, die uns beim letzten Durchlauf fast entgangen wären. An die vielen kurzen Anstiege und die Wiesenquerung am Ende dieses Abschnitts erinnere ich mich nicht mehr, an den zweiten, natürlich ebenfalls heute verlassenen Treffpunkt, hingegen gut.

2018

Jetzt wo der Wald hinter mir liegt und ich zunächst eine kleine Ortschaft quere und ich einem offenen Feldweg folge, merke ich, dass die Temperatur seit dem Start deutlich gestiegen ist. Noch empfinde ich die Wärme als angenehm, aber es liegen noch einige Stunden vor mir, bis die Abenddämmerung einsetzen wird.
Ich folge einem kurzen Trail durch einen Wald, stoße auf einen See und dahinter auf eine Scheune. Das angrenzende Straßenschild weißt den Ort als „Merkelmussweg“-Straße aus, es fällt mir schwer, zu glauben, dass dieses Stück Weg tatsächlich diesen Namen trägt, aber das Schild sieht zumindest authentisch aus.
Es folgen einige geteerte Wege und weitere Anstiege, die mir besorgniserregend zusetzen. Hat mich dieser Abschnitt das letzte Jahr auch schon so angestrengt? Möglich, ich bin mir nicht sicher, da ich ohnehin alleine laufe setze ich die Kopfhörer auf und schalte etwas Musik ein, das hilft meistens gegen kleinere Schwächephasen.
Nach dem Durchqueren einer weiteren Ortschaft laufe ich, über Wiesenwege, an vielen kleinen Teichen und Tümpeln vorbei. Die Strecke ist brettflach, gibt mir die Gelegenheit, mich etwas auszuruhen, das Schwächegefühl bleibt dennoch.

2019

Ich stoße auf die Bahntrasse, genau wie im letzten Jahr ist die Schranke geschlossen, zwei weitere Läufer warten hier, von einem Zug ist weit und breit nichts zu sehen. Wir überlegen noch, ob wir die Gleise dennoch überqueren sollten oder nicht, als sich die Schranke öffnet. Von der anderen Seite tönt Musik, wenig später kann ich die Quelle ausmachen. Michael empfängt uns auf einem E-Bike, auf dem Gepäckträger quäkt ein mobiles Radio. Auf die Frage, wie es läuft, antworte ich „Geht so“ und hebe den verbleibenden Stock in die Luft „Das waren mal zwei!“.
Ich bleibe in der kleinen Gruppe und für einige Zeit traben wir gemeinsam durch den Wald, dabei nehmen wir uns die Zeit einem Passanten zu erklären, was wir vorhaben. Verwundert lassen wir ihn zurück, den Wunsch 160, oder im Fall meiner Mitstreiter gar 661 Kilometer weit zu laufen, ist für unbeteiligte nur schwer nachzuvollziehen. Wenig später erreichen wir den ehemaligen Treffpunkt 3. Letztes Jahr war ich hier auch recht müde, das tröstet mich ein wenig über meine aktuelle Schwäche hinweg.

2018

Wir passieren weitere Tümpel, laufen teils auf kräftezehrenden Wiesenwegen, teils auf befestigten Waldwegen, überqueren die Autobahn und folgen einem befestigten Weg in die nächste Ortschaft. Falkenberg ist nicht mehr weit, zum Glück, inzwischen schwitze ich reichlich und der Ausblick den ersten Abschnitt bald geschafft zu haben treibt mich an. Unsere Formation ist unbeständig, mal wachsen die Abstände um dann, am nächsten Anstieg, wieder zusammenzuschmelzen. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt.
Nachdem Durchqueren einer Senke liegt Falkenberg schließlich vor uns. Eine große Baustelle, auf der ein Glaspalast, der zu einem großen Bürogebäude passen könnte, errichtet wird, empfängt uns am Ortseingang. Das Gebäude passt so gar nicht zu dem beschaulichen Örtchen mit den vielen alten Wohnhäusern und dem weit herausragenden Kirchturm.

2019

Dank Uhr und der Erfahrung aus dem letzten Jahr, finde ich mich dieses Jahr leichter in der Ortschaft zurecht. Wir erreichen die Hauptstraße, hier hat sich letztes Jahr der kleine Versorgungspunkt befunden, überqueren wenig später einen Spielplatz, laufen an den Höfen einiger Handwerksbetriebe vorbei und verlassen den Ort wieder. Wo ist der Versorgungspunkt? Sollte er nicht am Ortsausgang sein? Dann endlich entdecke ich einige Menschen und ein großes Banner auf einem Parkplatz ein gutes Stück voraus. Der erste Abschnitt ist geschafft!

2019

Anders als im letzten Jahr handelt es sich nicht um einen kleinen Wasserpunkt, sondern um eine ausgewachsene Versorgungsstation: Wasser, Cola, Gummibärchen, Salzgebäck und vieles mehr wird angeboten. Ich nehme alles dankend an und greife ausgiebig zu. Eine kleine Schaar von Läufern rastet bereits hier. Ich gönne mir ein paar Minuten, vermeide es aber, mich hinzusetzen. Als ich wieder aufbreche, bin ich allein, meine Mitläufer verweilen etwas länger.

Nach Neustadt

Auf dem vor mir liegenden Abschnitt freue ich mich, immer am Fluss entlang, dabei an beeindruckenden Felsformationen entlang. So habe ich es in Erinnerung, die fiesen Anstiege, die ich bis zu Beginn des Pfades überwinden muss, habe ich wohl verdrängt, ebenso den Umstand das der Weg beständig leicht, aber spürbar, ansteigt.

2018

Eine Stunde lang folge ich dem Weg, ohne au einen anderen Läufer zu treffen, auch Wanderer sind dieses Jahr, trotz des guten Wetters, rar. Danach laufe ich unter einer Autobahnbrücke hindurch und erreiche wenig später Treffpunkt 5, aus dem letzten Jahr. Etwa 5,5 Stunden bin ich inzwischen unterwegs und habe gut 45 Kilometer hinter mich gebracht. Gefühlt bin ich ähnlich schnell unterwegs wie im letzten Jahr (Tatsächlich habe ich 10 Minuten länger gebraucht), wobei ich dieses Jahr weniger Pausen gemacht habe und weniger Zeit für die Navigation aufbringen musste. Dieses Jahr habe ich mein erstes Tief bereits überstanden, aktuell fühle ich mich zwar nicht gerade kräftig, aber immerhin besser als vor Falkenberg. Sorge mach mir mein Wasservorrat, ich schwitze und ich muss regelmäßig zum Trinkschlauch greifen, reicht das bis zur Aid-Station in Leuchtenberg? Das sind noch fast 40 Kilometer. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall sein wird, meine Hoffnung ruht auf Neustadt, hier gab es, im letzten Jahr, einen Fan betriebenen Versorgungspunkt. Nachdem ich die Stadt erreicht habe, sollte es auch nicht mehr lange dauern, bis es dunkel und kühler wird.
Ich erreiche die Ortschaft Neuhaus, am Ortseingang wartet ein Supporter auf seinen Schützling. „Brauchst du etwas? Ich habe genug?“ Fragt er mich und da sage ich nicht nein, wenig später leere ich eine Literflasche Wasser, mir war gar nicht bewusst, wie durstig ich war. Ich bedanke mich ausgiebig und setze mit bester Laune meinen Weg fort.

2018

Nach Neuhaus durchquere ich ein kleines Waldstück und erreiche die nächste Autobahnbrücke. Hier weicht der Track vom offiziellen Goldsteig ab, den Pfad des Tracks konnte ich im vergangenen Jahr nicht finden, dieses Jahr bleibe ich direkt auf dem Goldsteig. Für einige Zeit geht es eben dahin, die Sonne brät mir auf den Schädel, das war letztes Jahr definitiv angenehmer.
Ich bin froh, als ich endlich wieder in einen schattigen Wald einbiege. Es folgen einige Anstiege, keiner davon ist sonderlich lang, jedoch mitunter recht steil und kräftezehrend. Weitere Details, die mir mein Gedächtnis unterschlagen hat. Von der Erfrischung ist nicht viel geblieben und ich spüre schon wieder Durst, ich hoffe weiterhin auf eine Stärkung in Neustadt, die Stadt liegt nun direkt vor mir, allerdings bin ich nun zuversichtlich, zur Not auch ohne bis Leuchtenberg durchzukommen.

2018

Ich erreiche die Ortschaft, laufe an Strebergärten vorbei und durchquere den Campingplatz. Meine Anspannung steigt, an der nächsten Einbiegung befand ich der Versorgungspunkt letztes Jahr. Ich biege ab und werde enttäuscht, den Platz erkenne ich, finde ihn aber verlassen vor. Dieses Mal finde ich den richtigen Weg durch die Ortschaft, die kleine Karte am Handgelenk ist ein unschätzbarer Vorteil, bislang ruht mein großes Handheld-Navi ausgeschaltet im Laufgürtel.
Ich marschiere gerade die Straße in Richtung Ortsausgang hinauf, als ich einen Tisch auf einem Parkplatz ausmache – da ist er ja, der Versorgungspunkt! Ich werde freundlich empfangen und mit Kuchen und Getränken versorgt, bei beidem greife ich zu und bedanke mich. Diese kleinen Stärkungen sind Balsam für Körper und Seele!

2018

In Neuhaus endet mein zweiter Abschnitt, mein nächstes Ziel ist Leuchtenberg. Es dämmert bereits, wie im letzten Jahr, ich habe nach wie vor das Gefühl ähnlich schnell voranzukommen (Tatsächlich bin ich inzwischen 5 Minuten schneller), das baut auf.

Nach Leuchtenberg

Ich lasse Neustadt hinter mir und laufe am Waldrand entlang, an diesen Abschnitt, meine ich, mich gut erinnern zu können, allerdings habe ich hier viele Anstiege verdrängt und die Strecke auch als kürzer in Erinnerung. Ganz sicher wiedererkenne ich zwei Bänke am Wegesrand. Hier habe ich letztes Jahr pausiert, um die Stirnlampe herauszukramen, genauso halte ich es auch dieses Jahr. Während ich noch packe stoßen zwei Gassigänger hinzu, es folgt eine kurze Unterhaltung über das Rennen sowie ein paar Streicheleinheiten für die Hunde.
Nachdem ich ein weiteres Waldstück und eine Senke durchquert habe erreiche ich die nächste Ortschaft und finde hier, wie auch im letzten Jahr, einen weiteren fanbetriebenen Versorgungspunkt. Ich greife erneut zu, bin über alles dankbar. Ich bin der Dritte oder Vierte der durchgekommen ist, sagt man mir. Das nehme ich erfreut zur Kenntnis auch wenn die Position, so früh im Rennen, wenig Bedeutung hat. Außerdem spüre ich deutlich das die Zeit, in der ich zügig Kilometer abarbeiten kann, bald enden wird. Zwar tut mir nichts weh, aber über die wachsende Schwäche in meinem Körper täuscht das nicht hinweg.

Nachdem ich mich wieder auf den Weg gemacht habe, arbeite ich mich einen Anstieg hinauf und kurze Zeit später wieder hinab. Ich durchquere eine Ortschaft, während ein voller Mond aufgeht und das Örtchen in fahles Licht taucht, ein hübscher Anblick. In der Ortschaft begegne ich dem ersten Mitläufer seit langem. Er telefoniert gerade, ich Grüße mit Handzeichen und ziehe vorbei.

2019

Auf die Ortschaft folgt ein kleines Stück Wald, dann finde ich mich an einer breiten Landstraße wieder. Gegenüber liegt ein Parkplatz dahinter eine Pizzeria. Das war, letztes Jahr, mein vorletzter Treffpunkt mit meiner Frau.
Ich lass das Gebäude hinter mir, den Einstieg zum Waldweg finde ich dieses Jahr auf Anhieb. Ich passiere den Sendeturm und laufe über einen ruppigen Trail durch den Wald. An- und Abstiege wechseln sich ebenso häufig wie Streckenbeschaffenheit: Waldweg,Trail, geteerte Feldwege. Der Abschnitt ist abwechslungsreich, macht Spaß, fordert aber auch viel Konzentration ein und ist durchaus anstrengend. Ich erkenne einige markante Abschnitte wieder, ein Stück Trail, eine Scheune, eine Kreuzung an der ich im letzten Jahr die richtige Abzweigung gesucht habe, aber das Meiste fühlt sich fremd an, namenlose Abschnitte einer 160 Kilometer langen Strecke.
Nach einem längeren Anstieg blicke ich auf eine Ortschaft hinab, das war mein letztes Treffpunkt im letzten Jahr und der Punkt an dem ich versäumt habe auf die richtigen Schuhe umzusteigen. Ein Fehler, der mir in der Nacht einige Probleme bereitet hat. Dieses Jahr bin ich direkt mit Trailschuhen gestartet und bislang fühlen sich meine Füße noch gut an, auch mein Knie sendet keinerlei Beschwerden oder Warnungen, die alte Verletzung ist anscheinend „just in time“ verheilt.
Ich durchquere den Ort und laufe einem steilen Hang hinab, auf der gegenüberliegenden Seite geht es ebenso steil bergan, ich marschiere, mein verbliebener Stock macht es mir leichter. Inzwischen habe ich eine Routine entwickelt mit dem Stock umzugehen, an den flacheren Anstiegen wechsel ich von Zeit zu Zeit die Seite, um mich nicht einseitig zu belasten. An den wirklich steilen Abschnitten greife ich den Stock mit beiden Händen und drücke mich nach oben, eine Technik, die ich im Laufe der Nacht, immer weiter optimieren werde.
Ich durchquere eine Wiese, jetzt wo ich weiß, dass hier ein Trampelpfad vorhanden ist, habe ich keine Mühe ihn zu finden. Ich passiere Wälder, Felder, laufe über Trails, ein beständiges auf und ab. Inzwischen habe ich richtigen Hunger, zwei Brötchen habe ich noch, aber die wollte ich mir für die Nacht aufheben. Ich sehne Leuchtenberg herbei, nur noch wenige Kilometer, aber diese ziehen sich. Das liegt auch am schwierigen Gelände. In einer Senke, vor dem finalen Anstieg nach Leuchtenberg, wartet ein ganzes Labyrinth aus kleinen Wegen auf mich. Letztes Jahr gingen mir genau hier die Batterien meines Navis zur Neige. Auch dieses Jahr hilft die Karte am Handgelenk nur bedingt weiter: Die Wege liegen zu dicht beieinander und decken sich nicht immer mit den vorhanden Wegen. Ich orientiere mich an Hand der Goldsteig Beschilderungen, die aber nicht immer einfach zu entdecken bin. Ich überquere eine schmale Brücke, das musste ich das letzte Jahr auch, aber diese hier wirkt länger und tatsächlich, wenig später ist mir klar, dass ich falsch abgebogen bin. Ich gehe zurück, suche alles nochmal genau ab, für einige Minuten bin ich ratlos, dann endlich finde ich den richtigen Weg und wenig später überquere ich die bekannte Brücke.

2018

Der letzte Anstieg, hinauf zur Ortschaft, verlangt mir alles ab. Ich fühle mich schwach, ausgelaugt und müde, mühsam arbeite ich mich den Hang hinauf. Ich erreiche eine Lichtung, laut Karte sollte der Weg durch den Wald verlaufen, dort ist aber kein Weg, den habe ich auch das letzte Mal vergebens gesucht. Dieses Jahr halte ich mich direkt am Waldrand und erreiche die Ortschaft wenig später, auch die Lage der Halle, in der sich die „Aid-Station“ befindet, ist mir dieses Mal gut bekannt.

2018

In Leuchtenberg

Mit Erreichen des Checkpoints habe ich etwa 85 Kilometer zurückgelegt, etwas mehr als die Hälfte der Strecke. Bislang bin ich etwa 11 Stunden und 20 Minuten unterwegs. Mein Ziel, im vergangenem Jahr, bestand darin die Aid-Station um Mitternacht zu verlassen. Zuletzt war ich etwas früher hier, aber viel langsamer, als im letzten Jahr, bin ich offensichtlich nicht, was meine, ohnehin nach wie vor gute Stimmung, noch etwas hebt.
Ich werde mit Applaus von den Anwesenden begrüßt, neben Michael sind das einige Helfer, Läufer sowie Supporter. Darunter auch das nette Team dem ich, vor einer gefühlten Ewigkeit, meinen zerbrochenen Stock überantwortet habe. Kurz berichte ich Michael, wie es mir ergangen ist. „Du bist erster von den 160iger.“ Teilt er mir mit und überlässt mich damit einstweilen meinem Gewusel. Wichtiger als die Platzierung ist mit zunächst alle Akkus an die Powerbank anzuschließen, damit diese laden können. Ich mag meine neue Laufuhr, die Karte hat mir das Leben bislang sehr viel einfacher gemacht. Mein altes Model wurde auf einer kleinen „Ladeplatte“ geklippt, es war möglich die Uhr, mit dieser Platte, zu tragen und das Gerät somit während des Laufens aufzuladen. Beim neuen Model ragt das Kabel nach unten hinaus, was dies unmöglich macht.
Nachdem das erledigt ist, ziehe ich mich um und reibe mich trocken, aus den durchgeschwitzten Sachen herauszukommen ist eine Wohltat. Ebenso das kurze Zähneputzen, um alle die süßen Geschmäcker aus dem Mund zu bekommen. Auch neueingekleidet bleibe ich bei „kurz/kurz“, denn ich erwarte eine milde Nacht, nur an den Füßen befinden sich nun wasserdichte Socken, die vielen feuchten Wiesenwege, die vor mir liegen, hatten ihren Anteil an meinen zerschundenen Füßen, letztes Jahr.
Im Anschluss esse ich etwas, ich halte mich an Backwaren, Brot und Brötchen, dazu ein paar Salzstangen und ein paar Nudeln ohne Soße. Währendessen rufe ich meine Frau an und berichte ihr, wie es bislang gelaufen ist. Zuletzt fülle ich mein Wasser auf, nicht so viel wie im letzten Jahr – da habe ich viel zu viel durch die Nacht geschleppt.
Als ich mich verabschiede und man mich mit besten Wünschen wieder auf die Strecke schickt, ist es genau Mitternacht, ich bin also, alles im allen, genauso flott wie im letzten Jahr unterwegs.

Durch die Nacht

Trotz Essen, Trinken und Erfrischung fühle ich mich ziemlich schwach, als ich mich wieder auf den Weg mache. Ich entschließe mich daher, zunächst etwas zu marschieren. Ich verlasse die Ortschaft, jedenfalls nachdem ich den richtigen Weg gefunden habe. Heute regnet es nicht, die Nacht ist mild, fast warm.
Ich durchquere einen Wald, quere eine Straße und tauche direkt in den nächsten Wald ein. Für eine Weile geht es bergab, die folgenden Anstiege hatte ich so anstrengend nicht mehr in Erinnerung, wahrscheinlich liegt das weniger an einer verfälschten Erinnerung, als an unzureichendem Training.
An- und Abstieg gehen nahtlos ineinander über, unter mir liegt eine kleine Ortschaft. Bergab trabe ich verhalten, aber selbst das fühlt sich anstrengend an, ich durchquere die Autobahn und biege wieder in einen Waldweg ein, ich bin fast erleichtert, dass es wieder bergauf geht und ich einen guten Vorwand zum Marschieren habe.

2018

Ich durchquere ein Waldstück und eine weitere Ortschaft, dann biege ich in einem ruppigen Trail ein. An diesen Abschnitt erinnere ich mich schemenhaft, hier bin ich, letztes Jahr, vom Weg abgekommen und habe viel Kraft- und Zeit verloren. Auch die vielen Blumen, die im Licht meiner Stirnlampe glänzen und die säulenartige Pfade zwischen uralten Bäumen hindurch habe ich noch vor Augen. Ich muss jedoch feststellen, dass ich den Verlauf des Abschnitts völlig anders, abgespeichert habe: Die Reihenfolge stimmt nicht, die vielen kleinen Rampen dazwischen hatte ich wohl ebenfalls verdrängt wie die schwierigen felsigen Abschnitte, die Sumpflöcher und niedrigen Äste. Ebenso die Lichtung, die sich nach einiger Zeit auftut, eh der finale Anstieg zum Ausgang des Abschnitts beginnt. Ich marschiere den ganzen Abschnitt über, zügig, im Rahmen der Gegebenheit, zwischen 9 und 12 Minuten brauche für jeden einzelnen der 6,5 Kilometer. Spätestens hier perfektioniere ich die „Ein-Stock“-Taktik. Als ich endlich den Wald verlasse, bin ich durchgeschwitzt, erschöpft und müde.

2018

Ich versuche erst gar nicht, auf dem zunächst flachen, dann abschüssigen Schotterweg, anzutraben, sondern fische etwas Verpflegung aus meinem Rucksack, die ich zu mir nehme, während ich auf das Städtchen Trausnitz zumarschiere. Den Ort durchquere ich hochkonzentriert, das letzte Jahr hatte ich Probleme, den richtigen Weg zu finden. Auch dieses Jahr übersehe ich zweimal die richtige Abbiegung beinahe.
Mit Verlassen der Ortschaft habe ich etwa 100 Kilometer zurückgelegt und 14,5 Stunden dafür benötigt. Ich bin nach wie vor alleine unterwegs, seit Leuchtenberg ist mir niemand mehr begegnet, was mir im Augenblick aber auch ganz recht ist, mir steht der Sinn im Augenblick weder nach Reden noch nach Gesellschaft.
Ich marschiere an der Straße entlang, der Einstieg, in den Pfad, muss irgendwo auf der rechten Seite liegen. Ich werde unruhig, da der Pfad nicht auftaucht und überlege bereits, nun doch mein Handheld Navigationsgerät zu bemühen, dann endlich entdecke ich den schmalen Einstieg in den Trail. Es geht stramm bergan, ich verlasse den Wald, laufe ein Stück über einen geteerten Feldweg und biege in den nächsten Wald ein. Das Marschieren fällt mir leicht, aber die Müdigkeit setzt mir zu. Im April, auf dem Hexenstieg, habe ich in der Situation die Flucht nach vorne ergriffen: Schneller laufen und Musik auf die Ohren. Zum Laufen fehlt mir heute die Kraft, aber an der Musik soll es nicht scheitern.
Während ich den Wald durchquere, befinde ich mich in einem Tunnel, nur wenig Eindrücke dringen zu mir durch, erst als ich die Bundesstraße erreiche, setzen meine Erinnerungen wieder ein. In der Vorbereitung auf den Lauf habe ich meinen alten Laufbericht erneut gelesen. Dabei ist mir ein Stück der Strecke aufgefallen, an das ich mich nicht erinnern konnte und der auch im Bericht keine Erwähnung findet, dieser liegt wenig später vor mir. Wahrscheinlich ein Schutzreflex denn der Abschnitt erweist sich als steile, nasse, Wiese, an dessen Rand ich hinaufsteige. Mein Puls ist auf Anschlag und trotz wasserdichter Socken spüre ich die Feuchtigkeit im Schuh. Mühsam arbeite ich mich hinauf, passiere dabei ein größeres Gehöft, dann die Straße.
Was nun vor mir liegt weiß ich genau und es graut mir davor. Ich durchquere eine weitere feuchte Wiese und beginn einen steilen Anstieg. Nachdem ich ein Gatter passiert habe, liegt ein felsiger Weg vor mir. Letztes Jahr habe ich hier sehr lange nach dem richtigen Weg gesucht und auch dieses Jahr habe ich meine Mühe. Ich irre zwischen den Steinen hin und her, die Karte ist keine Hilfe, die Linien sind einfach nicht in Einklang mit den angebotenen Wegen zu bringen. Nach drei oder vier Minuten finde ich endlich die richtige Abzweigung und bin wieder auf Kurs.
Wenig später befinde ich mich am Fuß eines großen Leuchtkreuzes, eine Treppe führt hinauf, heute nehme ich mir die Zeit, diese zu besteigen und genieße einen Augenblick lang den Ausblick: Unter mir liegt Tännesberg, beschienen von einem satten Vollmond umgeben von weitläufigen Hügeln und Feldern. Ein beeindruckender Anblick den ich versuche mit dem Handy festzuhalten – leider vergeben, mehr als schwarz mit ein paar hellen Flecken landet nicht im Speicher meines Smartphones.

2018

Nach einem kurzen Abstieg laufe ich auf einem breiten Feldweg durch den Wald, nun wirklich wieder abschnittsweise laufend, weil ich einfach vorankomme. Nach einigen Minuten tauchen vor mir flackernde Lichter auf, um was es sich handelt, erkenne ich erst, als ich direkt davor stehe: Zwei Kerzen, Grableuchter um genau zu sein, flankieren ein Schild: „Verpflegung in 2 Kilometern“. Offensichtlich noch ein Fan Versorgungspunkt, das lässt meine Müdigkeit verfliegen, mein schnellster Abschnitt, seit verlassen von Leuchtenberg.
Nachdem ich den Wald verlassen habe sehe ich einen großen Pavillon vor mir. Auf den Tischen steht Wasser, Cola, mehrere Kuchen und Brezeln bereit, ein Betreuer ist nicht anwesend, um diese Uhrzeit, es ist etwa 4 Uhr, kein Wunder.
Ich Esse eine Brezel, etwas Kuchen und trinke zwei Becher Cola, eine Wohltat! Vielen, vielen Dank für diesen Einsatz! Gestärkt setze ich meine Reise fort.
Mein Weg führt durch den Wald, dabei geht es beständig auf und ab, der Weg ist breit und einfach zu laufen, wo es sich anbietet, trabe ich. Das trifft jedoch meist nur für wenige hundert Meter zu, die vielen kurzen An- und Abstiege hatte ich komplett verdrängt. Im letzten Jahr hatte ich auf diesem Abschnitt ein tief, jetzt geht es mir gerade recht gut. Für eine Weile folge ich einem Geologie Lehrpfad, mächtige Gesteinsbrocken säumen den Wegesrand, vor den meisten befinden sich Informationstafeln. Fast 50 Minuten lang durchquere ich den Wald, dann endet der bequeme und halbwegs zügige Abschnitt. Ich folge dem Waldrand auf einem nassen Wiesenweg. Ein weiteres verdrängtes Detail. Meine Socken sind inzwischen durch und ich plane den Wechsel. Ich erinnere mich an eine große Wiese, spätestens wenn ich diese durchquert habe, werde ich eine Pause einlegen und mich darum kümmern. Vorher lohnt sich nicht, die neuen Socken wären in kürzester Zeit durchweicht und ich habe nur ein Wechselpaar dabei. Bis es so weit ist, dauert es aber noch etwas, wenigstens eine Stunde schätze ich.
Ich überquere eine weitere Wiese und biege auf einen geteerten Weg ein, wenig später durchquere ich eine Ortschaft. Vor mir liegen weitläufige Felder, ich erinnere mich gut an den Abschnitt, letztes Jahr hatte kurz nach der Ortschaft die Dämmerung eingesetzt. Heute ist noch dunkel, was bedeutet das ich, obwohl ich, seit Stunden vorrangig marschiere, schneller als letztes Mal bin. Im vergangenen Jahr hatte ich, zu dieser Zeit, schmerzen im Knie, die sich auf den folgenden Kilometern immer weiter verstärkt hatten, weswegen ich nur sehr langsam vorangekommen bin. Körperlich geht es mir heute gut, solange das so bleibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich eine neue persönliche Bestzeit aufstellen werde. Das beflügelt und ich streite etwas beherzter voran.

2018

Plötzlich entdecke ich jemanden vor mir, ein früher Gassi Gänger? Mit Rucksack? Wohl nicht, tatsächlich hohle ich einen Läufer ein. Wir grüßen uns mit einem „Good morning!“, für eine Minute bleiben wir zusammen, dann entsteht eine Lücke zwischen uns und ich ziehe langsam davon.
Ich laufe über einen nassen Feldweg, biege auf einen geteerten Feldweg ein und passiere eine Kirche, dann liegt die erwartete Wiese vor mir. Inzwischen setzt die Dämmerung ein, sehr groß ist mein Vorsprung also nicht. Ich durchquere die Wiese, Füße und Schuhe saugen sich dabei mit Wasser voll. Die wackelige Brücke, auf der ich letztes Jahr, einen kleinen Bach überquert habe, wurde inzwischen gegen ein solideres Model getauscht. Mein Weg führt auf einen rustikalen und steilen Weg, der letztlich in einen Singletrail übergeht, durch ein Waldstück. Als ich auf der anderen Seite ins Freie trete ist es bereits deutlich heller, ein Stück vor mir kann ich eine Bank ausmachen – perfekt.

Ein neuer Morgen

Ich will mir Zeit lassen, aber durch die zurückliegende Überholung ist ein gewisser Kampfgeist entfacht, ich möchte den gewonnen Platz nicht während meiner Pause wieder verlieren. Ich lege die Füße frei, die sehen deutlich besser aus als befürchtet, nur zwei Blasen, jeweils am kleinen Zeh. Ich trockne mich, so gut es geht ab, und krame mein erstes Hilfe Set heraus. Das Abkleben der Blasen gestaltet sich fummelig und schwierig, aber nach einer gefühlten Ewigkeit ist es geschafft. Ich packe mein letztes Brötchen aus und fülle meinen Gummibärchen Vorrat, deponiert im Laufgürtel, wieder auf. Die Stirnlampe landet hingegen im Rucksack, nachdem alles erledigt marschiere ich weiter, etwa 122 Kilometer habe ich abgeleistet, nicht mal mehr ein Marathon bis ins Ziel, etwa 18 Stunden bin ich inzwischen unterwegs.
Die Blasenpflaster drücken etwas beim Laufen, es ist aber gut aushaltbar und im Augenblick nicht zu ändern.
Ich passiere Felder, ein Gehöft und ein kleines Waldstück, eh ich eine, um diese Uhrzeit einsame Bundesstraße, überquere. Die Strecke beschreibt ein beständiges auf und ab. Nach der Straßenquerung geht es steil bergauf über rustikalen Trails. Das letzte Jahr hatte ich hier Schwierigkeiten den richtigen Weg zu finden, die Erfahrung hilft, aber auch der Umstand, dass ich mich weitaus frischer fühle und es mir deutlich leichter fällt zu navigieren.
Ich passiere eine weitere Ortschaft, der Weg flacht ab und ein längerer Waldabschnitt liegt vor mir. Die Strecke führt tendenziell bergab, wird aber immer wieder von kürzeren Anstiege unterbrochen. Ich wechsel beständig zwischen traben und marschieren. Nach einiger Zeit überquere ich, mittels Brücke, eine Landstraße. GPS-Track und vorhandene Wege decken sich hier nicht, das Problem hatte ich auch im letzten Jahr, mühelos finde ich den (hoffentlich) richtigen Weg.

2018

Ich durchquere ein weiteres Waldstück und weitere feuchte Wiesenwege, das stört inzwischen nicht mehr sonderlich, obwohl es noch früh ist, steigen die Temperaturen merklich. Nicht mehr lange und ich werde über jede Abkühlung dankbar sein. Vor mir taucht eine Ortschaft auf, hier habe ich, letztes Jahr, meine Frau zum ersten Mal wieder getroffen und war, von hier aus, mit Tuaq unterwegs. Heute muss ich mich alleine durchschlagen. Ich bin trotzdem guter Dinge, den nächsten Abschnitt habe ich als, verhältnismäßig, einfach in Erinnerung.
Ich Umlaufe das Örtchen Kulz, an Pferdekoppeln und Feldern vorbei, einige Gassigänger begegnen mir, Grüßen und weiter. Ganz so einfach, wie gedacht, ist der Abschnitt dann doch nicht: Zunächst warten einige Rampen auf mich, der folgende Trail, durch den Wald, ist abschnittsweise schwierig zu laufen. Der Pfad ist nicht immer gut erkennbar und gabelt sich immer wieder, ebenfalls ist der Weg deutlich länger, als in meiner Erinnerung. Nach einiger Zeit weitet sich der Pfad zu einem Waldweg, nach einigen weiteren Rampen erreiche die Ortschaft Thannstein und das Ende dieses Abschnitts.

2018

Hier in Thannstein soll es, dieses Jahr, ein Cafe oder eine Wirtschaft geben, die Verpflegung anbietet, so war es in der Besprechung angekündigt. Auf die Suche begebe ich mich nicht, ich bin zuversichtlich mit dem auszukommen, was ich dabei habe.
Ich habe Respekt vor dem, was vor mir liegt. Auf dem Abschnitt hatte ich mich, letztes Jahr, mehrfach verlaufen und massive Probleme den richtigen Trail zu finden. Der Ort ist schnell durchquert, während ich, über einen Feldweg, auf den Wald zumarschiere, krame ich noch etwas Verpflegung aus meinem Rucksack – als moralische Stütze. Kaum im Wald angekommen erkenne ich meinen Fehler aus dem letzten Jahr, ein schmaler Pfad führt direkt vom Hauptweg ab, den habe ich zuletzt nicht genommen. Mit der Karte, am Handgelenk, gestaltet sich die Wegfindung zunächst mühelos, mühevoll sind hingegen die vielen Anstiege, dicken Wurzeln und hohe Tritte, die ich setzen muss, um mich Meter um Meter den Hang hinaufzuarbeiten. Immer wieder muss ich kleinere und größere Wege queren.
Natürlich bin ich auch heute müde, aber bei weitem nicht zu ausgelaugt und erschöpft wie letztes Jahr, das hilft ungemein sich auf den Weg zu konzentrieren, nach Wegmarkierungen zu suchen und die Karte zu prüfen.
Alles im allen komme ich gut voran und erreiche wenig später ein Plateau. Keiner der Wege deckt sich wirklich mit der Karte, aber ich erinnere mich, wo ich lang muss. In meiner Fantasie sollte wenig später eine Hütte auftauchen, die Stelle an der ich, letztes Mal, nicht weiter wusste und mich letztlich, mehr oder weniger, querfeldein durchschlagen musste. In Wirklichkeit muss ich bis dahin noch einen trailigen Hügel hinab, ein Taal durchlaufen und auf der anderen Seite wieder hinauf, bis ich endlich besagte Hütte erreiche.

2018

Diesmal finde ich den richtigen Weg, ich muss zunächst noch einen breiten Waldweg folgen, dann beginnt der Trail. Dieser hat es in sich, steil, extrem steil, ich kraxel über Felsen und dicke Wurzeln schier endlos hinauf. Der Schweiß läuft in strömen, wie warm es inzwischen wieder ist, habe ich bis hier hin gar nicht bemerkt. Ich nutze den Stock und alles an Griffen, was ich finden kann, um mich den Hang hinaufzuarbeiten. Das erinnert mich an den „Märchenwald“ des Hexenstiegs, oder den „Scheißtrail“ wie ich ihn genannt habe. Als solchen würde ich diesen Abschnitt nicht betiteln, einfach nur als anspruchsvoll. Ich arbeite mich genauso zügig und konzentriert nach oben, wie damals durch die Sumpfschneise im Harz, möchte, genau wie im April, den Abschnitt schnell hinter mir wissen.
Nach einigen Minuten wird es etwas flacher, ich trabe tatsächlich ein kurzes Stück, dann führen mich die Felsen zu einer Stahlkonstruktion: Schmale Treppen und Rampen die über Felsen hinweg führen. Sofort meldet sich meine Höhenangst, da aufschieben nichts bringt, bleib ich zügig in Bewegung und arbeite mich, wie zuvor an den Felsen hinauf und das unangenehme Gefühl legt sich bald wieder. Von oben hat man eine fantastische Aussicht: Über alle Bäume hinweg, kann man weit auf das Umland blicken. Richtig genießen kann ich das nicht, dafür fühle ich mich dann doch noch zu unwohl, ich bin dennoch froh, dieses Jahr, den richtigen Weg gefunden zu haben und diesen Abschnitt erleben zu können.
Ich überquere die Felsen, auf der anderen Seite stoße ich wieder auf einen breiten Wanderweg, ich erreiche einen kreisrunden Platz und einen bekannten schmalen Aufstieg. Ein letztes Mal geht es richtig steil bergauf, dann stehe ich vor einer Burgruine. Die war letztes Jahr geschlossen und ich musst mir eine Umgehung suchen, dieses Mal dürfen wir hindurchlaufen. Von der Burg stehen noch einige Gebäude, sowie ein großer Turm und ein gutes Stück der Mauer. Ein (jetzt natürlich geschlossener) Kiosk weißt den Ort als Ausflugsziel aus. Ich durchquere den Burghof und muss kurz, den Abstieg, auf der gegenüberliegenden Seite, suchen. Der Pfad ist knubbelig und mit Wurzeln und Steinen durchzogen, dieses Jahr sind meine Füße, alles im allen, noch im guten Zustand und der Weg bereitet mir keine Mühen. Es geht beständig bergab, stur geradeaus, bis kurz vor den Ausgang des Waldes. Ich bin erleichtert, das Schwierigste ist geschafft. Auf den Weg hinab telefoniere ich mit meiner Frau, sie macht sich jetzt auf den Weg, will wissen wo wir uns treffen. Im Ziel, lautet meine Antwort, bis dahin gibt es nur noch einen Treffpunkt und den werde ich aller Wahrscheinlichkeit vorher durchquert haben.

2018

Nachdem ich den Wald verlassen habe, quere ich einen Parkplatz und folge für ein paar Minuten einen offenen Feldweg. Es ist ca. 10:30 und die Sonne heizt mir ungehindert ein, ich bin durstig, aber muss mit dem verbleibenden Wasser haushalten, vielleicht hätte ich in Thannstein doch die Gaststätte suchen sollen.
Ich überquere eine Straße, tauche in den nächsten Wald ein, weiche einem Bagger aus, der den Wanderweg blockiert und erreiche wenig später den Fluss „Schwarzach“, der später zum „Eixendorfer See“ aufgestaut wird.

2018

An dem See liegt das Ziel, allerdings darf ich nicht den direkten Weg nehmen, sondern muss das Gewässer einmal umrunden, gut zehn zähe Kilometer, in denen man sein Ziel die ganze Zeit über vor Augen hat. Mein Blick fällt auf die Uhr, noch keine 23 Stunden unterwegs, wenn ich mich reinhänge, wäre ein Finish unter 24 Stunden vielleicht noch möglich. In einem Anflug von Kampfgeist trabe ich an, laufe über Stock und Stein. Das ist anstrengend, jede Minute zieht sich dahin. Obwohl ich dem Ufer des Sees Folge ist der Weg nicht flach. Es geht beständig auf und ab, mal mehr mal weniger dicht an der Wasserlinie. Einige Minuten halte ich das Tempo, dann bleib ich an einer Wurzel hängen. Für einen Moment habe ich das Gefühl, das Gleichgewicht behalten zu können, genug Zeit um zu denken „Absurd so kurz vor dem Ziel noch zu stürzen“, auf einen ungelenken Schritt folgt der Zweite, ich trudel und lande schließlich auf der Nase. Ich schramme über den, hier felsigen, Trail und schürfe mir Ellbogen und Knie auf. Zum Glück bleibe ich auf dem Weg, links geht es ordentlich die Böschung hinab. Ich rappel mich auf und begutachte meine Verletzungen. Nichts Ernstes, aber genug, um den frischen Kampfgeist, wieder zu bändigen. Ich falle wieder in meinen beständigen, zügigen Marsch zurück.
Die Zeit zieht sich, nur quälend langsam schiebt sich die Landschaft an mir vorbei. Obendrein fühle ich mich gehetzt, erwarte jeden Moment von hinten überholt zu werden, das möchte ich nicht. Die ganze Nacht über war meine Position völlig egal, aber so kurz vor dem Ziel, will ich meinen Platz behaupten. Ich gehe keinerlei Risiko mehr ein, nur an trailfreien Abschnitten trabe ich verhalten an, marschiere konsequent jeden Anstieg und jeden rutschigen Abstieg.

2018

Die Sonne setzt mir zu, von Minute zu Minute scheint es wärmer zu werden. Immer häufiger greife ich zum Wasserschlauch, bis nur noch ein Röcheln, aber kein Erfrischung, der Wasserblase zu entrinnen ist. Inzwischen habe ich den letzten Treffpunkt, des vergangenen Jahres hinter mir gelassen und die hohe Autobrücke passiert. Nach einem hässlichen Abschnitt entlang der Landstraße trabe ich wieder auf einem befestigten Weg. Ich befinde mich jetzt auf der richtigen Seite des Sees, nur noch etwas mehr als drei Kilometer bis ins Ziel.
Weitere Rampen versperren mir den Weg, steil, anstrengend, ich marschiere, es folgt ein gerader Abschnitt, traben, ein kurzes Stück Trail, wieder marschieren. Immer wieder blicke ich auf die andere Uferseite, suche nach frischen Läufern die mit weit ausladenden Schritten Boden gut machen, aber außer ein paar Familien, die spazieren gehen, sehe ich niemanden. Langsam reift die Erkenntnis, dass mich niemand mehr einholen wird, und ich lass es etwas ruhiger angehen.
Wenig später, steige ich eine Treppe hinauf und erreiche den Campingplatz. Hier haben wir letztes Jahr unser Zelt aufgeschlagen, ich bin direkt daran vorbeigelaufen. Das Ziel kann ich von hier schon sehen, ebenso meine Frau, die Hunde und einen treuen Helfer. Als ich mich dem Punkt nähere, kennen unsere Vierbeiner kein Halten mehr, ich nehme mir die Zeit die Zwei gebührend zu begrüßen, eh ich die letzten Meter zurücklege. Nach 24 Stunden und 16 Minuten habe ich das Ziel erreicht.

Im Ziel

Man gratuliert mir zum ersten Platz, ich hatte es vermutet, war mir bis jetzt aber nicht sicher. Ich nehme es freudig zur Kenntnis. Wichtiger ist mir im Augenblick aber etwas anderes: Wasser! Ich fühle mich ausgetrocknet und ausgelaugt, meine Frau reicht mir eine Flasche Cola, die ich gierig trinke. Zweite Priorität: Rucksack und Gürtel aus, alles landet auf einen Haufen. Ziel bzw. Checkpoint Verpflegung gibt es dieses Jahr in einer angemieteten Hütte. Eh ich mich auf einer Bank nieder lassen kann, taucht Michael auf. Ich nehm herzhafte Glückwünsche entgegen, danach steht das Siegerfoto an. Nachdem alles erledigt ist, gönne ich meinen Beinen endlich die nötige Ruhe und setze mich. Während ich mich mit den Anwesenden Unterhalte spüre ich, wie die Müdigkeit über mich hereinbricht. Ich esse ein paar kleine Happen, bekomme aber nicht viel runter. Ich spüre, wie sich mein Kreislauf zu Wort meldet. Nicht so häftig wie nach dem Hexenstieg, aber ein deutliches Warnsignal. Ich lege mich auf die Bank und ruhe mich aus. Nach einer Viertelstunde hat sich mein Kreislauf beruhigt, zumindest solange ich es ruhig angehen lasse. Wir unterhalten uns noch eine Weile, dabei erfahre ich auch, dass Kerstin, den Lauf bereits in Leuchtenberg, auf Grund einer Verletzung aufgeben musste. Das finde ich mehr als Schade, ich hatte ihre akribische Vorbereitung verfolgt und auch auf den 24 Stunden Lauf in Dettenhausen hatten wir uns einige Runden darüber unterhalten, so früh aufgeben zu müssen, ist mehr als bitter.
Nach einiger Zeit erreicht ein 661 Läufer den Checkpoint, er sieht noch kräftig und frisch aus, hält sich jedoch nicht lange auf, sondern zieht schnell weiter. Gerne hätte ich noch die nächsten 160 Kilometer Läufer begrüßt, aber mir fällt es immer schwerer wach zu bleiben und so brechen wir, nachdem wir uns bei allen verabschiedet haben, auf.

Fazit

Ich wollte diese Strecke noch einmal laufen, zum einen in der Hoffnung, sie dieses Mal ohne größere Blessuren zu überstehen. Dieses Ziel habe ich erreicht, der Sturz hat nur oberflächige Verletzungen hinterlassen, anatomisch geht es mir, bis auf die zwei kleineren Blasen gut. Zweites wichtiges Ziel war ein psychologisches: Ich wollte, bei der Ankunft in Marktredwitz im nächsten Jahr, das Gefühl vermitteln, die Strecke zu kennen, zu wissen das dieser Abschnitt „nicht zu schwer“ ist. Das Problem dabei ist, das ich die Strecke, leichter in Erinnerung hatte. Viele Rampen und Steigungen, die vielen nassen Wiesenwege, hatte ich so nicht mehr in Erinnerung. Ob diese Rechnung aufgehen wird, wird das kommende Jahr zeigen. Vorausgesetzt ich schaffe es überhaupt bis Marktredwitz, immerhin gilt es über 330 Kilometer bis dahin zurückzulegen. Dafür stehen mir 3,5 Tage zur Verfügung, das klingt viel, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass man in der Zeit auch schlafen und sich verpflegen muss.
Eigentlich feier ich hier meinen größten Erfolg: erster Platz in einer guten Zeit, zwei Stunden schneller, als im vergangenen Jahr. Die Art und Weise wie diese Leistung erbracht wurde, hindert mich daran: Ich bin, auf der zweiten Hälfte des Rennens, vorrangig marschiert, habe nicht mehr die Kraft aufbringen können, um größere zusammenhängende Abschnitte zu laufen. Zweifelsohne eine Folge von unzureichendem Training. Auf der anderen Seite: Hätte ich noch laufen können, hätte ich mich dann vielleicht so abgeschossen wie letztes Jahr und wäre am Ende später ins Ziel gekommen? Das werde ich sobald nicht erfahren, fest steht jedenfalls: Das Goldsteig Ultrarace ist in erster Linie eine Ausdauerchallenge und zumindest das ich mich, wenn’s sein muss, über viele Stunden voranschleppen kann, weiß ich jetzt.

Zum Abschluss möchte ich den Betreiber der privaten Versorgungsstationen danken – jede einzelne Station kam zur rechten Zeit und hat enorm geholfen weiterzugehen! Vielen Dank für euren Einsatz! Ebenso möchte ich den Support-Crews, anderer Teilnehmer, danken die mich unterstüzt haben!

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