Wider allen Erwartungen – Borderland Ultra

Wider allen Erwartungen – Borderland Ultra

Zwei Wochen sind vergangen, seit dem ich geschrieben habe, dieses Jahr an keinen Präsenz Wettkampf mehr teilzunehmen, als ich auf den „Borderland Ultra“ aufmerksam werde. Der Wettkampf findet bereits nächste Woche statt, die Behörden haben die Veranstaltung und das dazugehörige Hygienekonzept genehmigt, der Startort liegt keine 100km entfernt und freie Plätze gibt es ebenfalls noch. Besser geht es nicht, eine Woche später finde ich mich in „Gleichamberg“, Ort des Geschehens ein.

Hinweis: Bilder zum Vergrößern anklicken.

Es ist ungewohnt kühl, deutlich unter zehn Grad, dazu grauer Himmel und mal mehr, mal weniger starker, Wind. Klingt ungemütlich, empfinde ich aber als nahezu perfekte Laufbedingungen. Mit Kälte kann ich umgehen, deutlich besser als mit Hitze. Vor wenigen Minuten bin ich angekommen, wurde von Ordnern in eine Seitenstraße gelotzt, um mein Auto abzustellen und die wenigen Meter zum Gelände zu Fuß zurückzulegen. Hier und da stehen kleinere Grüppchen von Läufern beisammen, viel Andrang herrscht noch nicht. Das liegt zum einen daran, das ich fast eine Stunde vor dem Start aufgeschlagen bin, zum anderen daran, das, dass die Veranstaltung auf 333 Starter limitiert wurde. Des Weiteren verteilt sich das Teilnehmerfeld auf drei Distanzen: 20 Kilometer („Keltentrail“), 30 Kilometer („Grenzgänger“) oder die Kombination beider Strecken: 50 Kilometer. Ich gehöre zur letzteren Gruppe.
In der angrenzenden Turnhalle erhalte ich meinen Startbeutel nebst einem Beutel voller Werbegeschenke, ebenfalls darf ich das für das Finisher Shirt Maß nehmen, erhalten werde ich es jedoch erst im Ziel – wie es sich für ein Finisher Shirt gehört.
Während ich, wieder im Freien, auf das Briefing warte, füllt sich der Startbereich nach und nach. Die Besprechung selbst fällt knapp aus: Wir werden über Lochplatten laufen, die Stolpergefahr bietet, auf der zweiten Hälfte warten einige Trails und potentiell rutschige Stellen auf uns.

Nach zwei oder drei Minuten ist alles gesagt, was es zu sagen gibt, wenig später beziehen wir Position im Startbereich. Die meisten, so auch ich, tragen Mundschutz, des Weiteren steht mit in lockerer Formation, mit ausreichend Abstand. Hier ist das schön und gut, aber wenige Meter nach dem Torbogen wird niemand mehr Maske tragen und wir werden mit geringen Abstand einen Läuferwurm bilden, gut immerhin atmet man so maximal den Hinterkopf des Vordermanns an. Ich halte das Risiko in Summe für überschaubar.
Der Countdown wird eingeleitet und reist mich aus meinen Corona Überlegungen. Eine Nebelmaschine zischt und hüllt uns ein, nach dem ich die letzten Jahre nur selten auf Veranstaltungen mit mehr als 50 Startern war, ein ungewohntes, aber durchaus unterhaltsames, Brimborium. Der Countdown endet und langsam setzt sich der Zug in Bewegung.

Das Rennen – Runde 1 „Grenzgänger“

Wir verlassen das Sportplatzgelände, stoßen auf eine schmale Straße und laufen an einem Zaun entlang. Die Spitze des Feldes zieht, im hohen Tempo, bereits um die nächste Kurve und damit außer Sicht.
Meine eigenen Ambitionen heute sind bescheidener. Der Kurs besteht aus zwei Strecken mit gänzlich unterschiedlichen Charakter. Die ersten 30 Kilometer beheimaten etwa 400 Höhenmeter, ich erwarte ähnliches Gelände wie zu Hause: Hier und da ein paar Hügel, aber keine echten Berge, dazu die Lochplatten auf denen man nicht so gut laufen kann. Ich möchte diesen Teil der Strecke nach maximal drei Stunden und 30 Minuten beenden. Auf der zweiten Teilstrecke lauern über 800 Höhenmeter, verteit auf nur 20 Kilometer. Auf dem Streckenprofil sind zwei Reißzähne zu sehen, Briefing und Fotos aus dem Internet, lassen einige Trailpassagen erahnen. Ich räume mir daher drei Stunden für diese Runde ein, macht 6:30 in Summe. Das ist eine defensive Zielvorgabe, die in erster Linie aus fehlenden Training entsteht, nach der Verschiebung meiner geplanten Wettkämpfe auf 2021 habe ich dieses Jahr deutlich zurückgefahren um meinen Körper Zeit zur Erholung zuzugestehen. Letztlich soll aber mein Körpergefühl über das Tempo entscheiden, auf eine strenge Kontrolle verzichte ich.
Wir biegen auf eine breitere Straße ein, laufen an einigen Firmengebäuden vorbei, biegen erneut ab und stoßen auf einen Feldweg. Regelmäßig werde ich überholt und bekomme somit ein Gefühl von Langsamkeit vermittelt, als meine Uhr das erste Mal piepst und 5:15 anzeigt, staune ich nicht nur, sondern versuche mich etwas zu bremsen.

Wir biegen nach rechts ab und befestigter Feldweg geht in Wiesenweg über, wenig später stoßen wir auf eine Landstraße, der wir für ein oder zwei Minuten folgen, um anschließend wieder auf einen Schotterweg einzubiegen. Das Gelände ist flach, die Sicht ist Weit, ich kann den Streckenverlauf in Form von bunten Läufern vor mir ausmachen. An nahezu jeder Abbiegung stehen Helfer parat, die uns Anfeuern und den Weg weisen. So geht es die ersten Kilometer dahin, wir bleiben auf Feldwegen, mal welche die aus, von Landmaschinen ausgehöhlten, Furchen bestehen, mal auf soliden Schotterwegen, mal auf Wiesenwegen. Ich fühle mich gut und komme zügig voran, meine Zeiten liegen nach wie vor solide unter der 6 Minuten Marke, angesichts der flachen Strecke bereitet mir das aber keine Sorge. Nach einer Straßenquerung beginnt ein erster sanfter Anstieg, zu unserer linken Seite liegen abgesteckte Weiden, rechts von uns weitläufige Felder und schließlich das Örtchen Linden.

Der Wiesenweg verengt sich zum Pfad, hohes Gebüsch zu beiden Seiten und wird steiler und es kommt zu Stockungen. Erneut überqueren wir eine Straße, erneut sichern einige Helfer uns ab. Auf der anderen Seite ist der Weg breiter und der mini Stau löst sich rasch auf. Es geht noch ein Stück weiter bergan, dann ist die erste kleine Anhöhe überwunden, auf einem breiten Schotterpfad wetzen wir rasant bergab auf die Ortschaft zu. Unten angekommen steht bereits der nächste Helfertross parat, der uns nach links dirigiert. Eine geteerten Straße führt uns erneut bergan, führt uns dabei an einem Schwimmbecken vorbei, dessen besten Jahre offensichtlich einige Zeit zurückliegen, dann haben wir den Ort schon wieder verlassen.

Wir passieren weitläufige Weiden und Wiesen, am Horizont ist ein größeres Waldstück zu sehen, auf das wir zuhalten. Zunächst geht es einige Minuten sanft bergan, dann flacht der Pfad ab und wir traben wieder weitestgehend eben dahin. Nach einer Abbiegung weicht der Asphalt zurück und wird von aneinandergelegten Betonklötzen abgelöst. Der „Borderland Ultra“ folgt, zum Teil, der ehemaligen innerdeutschen Grenze, daher stammt der Name der Veranstaltung. Befinden wir uns bereits auf dem Abschnitt? Ich bin mir nicht sicher. Später werden wir an einigen Informationstafeln vorbeikommen, alles im allen bleibt der Grenzverlauf jedoch undurchsichtig. Ich finde das passend, wo früher Ost von West geteilt wurde, liegen nun Wiesen oder Äcker, die verbinden was zusammengehört.
Nicht nur Deutschland, sondern auch Hin- und Rückweg scheint sich hier zu vereinen, auf dem Boden entdecke ich Kreidepfeile die in die entgegengesetzte Richtung zeigen. Wir laufen weiter, schnurgerade auf den Wald zu, nachdem wir eine schmale Straße überquert haben, erreichen wir den ersten Versorgungspunkt, ein großes Zelt vor dem sich eine scharr Läufer tummelt. Ich passiere den Stand, ohne einzukehren. Ich habe genug Wasser in einem Trinkrucksack, als Verpflegung dient mir eine Tüte Lakritzschnecken, später, wenn das Feld nicht mehr so dicht ist, werde ich das Angebot sicher genauer unter die Lupe nehmen.

Wir biegen in den Wald ein und wenden uns nach links, es geht bergauf und der Untergrund wechsel von „solidem Betonblock“ auf „Lochplatte“. Laut Streckenbesprechung werden wir für 5 oder 6 Kilometer, so genau kann ich mich nicht daran erinnern, den Lochplatten folgen. Die Biester sind tückisch, auf manchen kann man ganz normal laufen, da sie vollständig zugewuchert sind, andere haben offensichtliche Löcher, wieder andere sehen so aus als wären sie zugewuchert, sind sie aber nicht. Mehr als einmal werde ich, in den nächsten Kilometern, in eines der Löcher treten und einsacken, passieren wird, soviel sei vorweggenommen, nichts, jedenfalls nichts schlimmeres als kurz aus dem Rhythmus zu kommen und die nächsten Schritte wieder vorsichtiger zu setzen.
Wenig später erreichen wir eine Kreuzung, unser Weg geht nach rechts, aber geradeaus sehe ich Pfeile die auf mich deuten, offensichtlich wird die Schleife, die vor uns liegen muss, hier enden. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr, gut acht Kilometer habe ich bislang zurückgelegt, also wird die Schleife etwa 14 Kilometer lang sein. Da im Vorfeld weder Streckenkarte noch GPX-Track veröffentlich wurde, weiß ich ausgesprochen wenig über den Streckenverlauf, da ich mich normalerweise intensiv mit der zu laufenden Strecke beschäftige, ist das ungewohnt. Angst vor dem Verlaufen muss trotzdem niemand haben, alle paar Meter hängt ein Band in den Bäumen, weißt ein Pfeil den Weg oder steht ein Helfer parat, der betriebene Aufwand ist enorm.

Wir verlassen den Wald, laufen an einem Feldrand entlang dann durch zwei Felder hindurch, anschließend an einem Wald entlang. Es geht dabei beständig leicht auf und ab, auch der Untergrund wechsel sporadisch durch: Wiese, Lochplatte, Betonblock, Schotter, wobei die Lochplatte überwiegt.
Dann erreichen wir die ersten fordernden Hügel, erst mäßig, dann immer steiler werdend, zu guter Letzt so steil, das ich, wie die Meisten um mich herum, ins Gehen wechsel. Schnaufend wuchte ich mich den Hügel hinauf, nach ein oder zwei Minuten ist der Scheitelpunkt erreicht, genauso steil wie es zunächst hinauf ging, geht es auf der anderen Seite direkt wieder hinab. Ich laufe vorsichtig hinab, kontrolliere mein Tempo und versuche alle Löcher zu umschiffen.

Der Weg flacht ab und setzt sich anschließend leicht wellig fort, wieder problemlos zu laufen. Für einige Zeit sind wir beidseitig von Bäumen und Sträuchern umgeben, durchaus hübsch anzusehen, allerdings ist mein Blick, die meiste Zeit über, stur auf die Lochplatten vor mir gerichtet. Wir verlassen den Wald, vor mir liegt weitläufiges flaches Land. Fast zwei Kilometer geht es stur geradeaus, durch Felder hindurch. Die Läuferkette hat sich inzwischen etwas entzerrt, zum ersten Mal, seit Beginn des Wettkampfes, habe ich niemanden direkt vor oder hinter mir und es fällt mir leichter, mein eigenes Tempo zu finden, dieses pendelt sich bei etwa 5:45 pro Kilometer ein.

Wir erreichen erneut ein Waldstück, der Weg steigt zunächst an, dann wieder ab, in einer Senke lotsen und gleich eine ganze Armada von Pfeilen hinab von dem Lochplattenweg und hinein in einen Trail. Nach nur wenigen Metern geht dieser in einen Feldweg über und wir laufen erneut auf brettflacher Ebene an den Feldern entlang.
Wir biegen in neunzig Grad Winkel nach links ab, nach meiner Orientierung sollten wir uns jetzt wieder auf dem Rückweg befinden (und so ist es auch). Nachdem wir einen weiteren Feldweg gekreuzt haben, taucht am Horizont ein alter Wachturm auf. Der deutlichste Hinweis auf die ehemalige Grenze, neben dem hässlichen grauen Turm befindet sich ein Stück Grenzzaun und wiederum davor, der zweite Versorgungspunkt. Den Versorgungspunkt lasse ich ebenfalls aus, werfe den Turm einen letzten Blick hinterher und setze meine Reise, weiterhin auf flachen Feldweg, fort.

Nach einem weiteren leicht zu laufenden Kilometer nähern wir uns erneut dem Wald, der Weg beginnt merklich anzusteigen, wird steiler und ich wechsel ins Gehen. Der Hügel ist kurz, aber kräftezehrend, zum ersten Mal wird mir richtig warm. Oben angekommen gehe ich ein paar Meter, um zu verschnaufen, eh ich wieder antrabe.

Auf breitem Schotterweg geht es auf der anderen Seite den Hang wieder hinab. Ich laufe zwischen Feldern hindurch, an der nächsten Kreuzung weist uns eine kleine Gruppe Helfer nach rechts und beklatscht dabei eifrig jeden Einzelnen, ich hebe dankend die Hand und folge dem Richtungshinweis. Nicht zum letzten Mal frage ich mich, wie viele Helfer heute unterwegs sind und nicht zum letzten Mal habe ich Mitleid: Es ist kühl und diesig, die Meisten sind in dicke Jacken gehüllt, einige haben sich zusätzlich mit Wolldecken umschlungen. Nach einem langen Sommer ist dies eines der ersten wirklich kühlen Wochenenden.
Nach einigen Minuten werden wir erneut gelotst, diesmal nach links, runter von dem geteerten Feldweg, auf einen Trail, der sich zugleich zu einem breiten Waldweg weitet und bergan führt. Der Anstieg kostet Kraft, lässt sich aber gut laufen, nach einigen Minuten flacht es spürbar ab, zu meiner rechten Seite befindet sich Wald, links kann ich in ein Tal hinab sehen. Auf der gegenüberliegenden Seite, in einiger Entfernung, sehe ich Läufer den Hang hinablaufen, ich halte dies für den weiteren Verlauf der Strecke, in Wahrheit blicke ich jedoch „in die Vergangenheit“, es ist der Hügel vor dem „Stimmungscamp der Helfer“, den ich selbst vor einigen Minuten hinab gekommen bin.

Ein richtiger Weg ist nicht auszumachen, dennoch ist der Weg klar, immer zwischen Waldrand und Hang entlang, zusätzlich weist Flatterband den Weg. Ich durchquere einige Bäume und finde mich auf einer breiten Wiese wieder, die bergauf führt. Dabei mache ich ein paar Plätze gut, die ich wenig später verliere. Der Weg verengt sich, führt schräg am Hang entlang, tiefhängende Zweige ragen weit in den Weg hinein, der Boden ist steinig und knubbelig, eine der wenigen echten Trailpassagen auf die ersten Runde, ich verlangsame und gebe die gewonnenen Positionen wieder ab.

Wir biegen nach rechts in den Wald ab und auf einmal habe ich wieder Lochplatte unter den Füßen, wenig später erkenne ich Pfeile, einen der geradeaus zeigt sowie einen der in die entgegengesetze Richtung und, von meiner Sicht aus, nach links zeigt. Ich habe die Schleife beendet und befinde mich nun wieder auf den Rückweg. Ich bin ein wenig enttäuscht, die Strecke wusste bislang zu gefallen, nun liegen etwa acht, zwar ebenfalls reizvolle, jedoch bereits bekannte, Kilometer vor mir.
Ich passiere erneut den ersten Versorgungspunkt und lasse ihn ein weiteres Mal aus, nehme mir aber vor, die nächste Versorgungsmöglichkeit anzusteuern. Im Augenblick möchte ich keine Zeit verschenken, 2:05 bin ich bislang unterwegs, wenn nichts Unerwartetes passiert werde ich deutlich vor der drei Stunden Marke das Ziel erreichen.
Die nächsten Kilometer über halte ich mein Tempo, immer um die 5:40 pro Kilometer. Bis zum Ort mit dem Schwimmbecken klappt das mühelos, auf dem kurzen folgenden Anstieg, fällt es mir deutlich schwerer, das Tempo zu halten, ich spüre die zurückgelegte Strecke, weniger in Form von schweren Beinen, als in einem sich ausbreitenden Hungergefühl. Ich steuer mit zwei Lakritzschnecken dagegen, das hilft zumindest dem Kopf.
Ich laufe weiter zwischen den Feldern hindurch, überquere zwei Mal die Straße, teils kräftiger Wind bläst mir entgegen, Strecke und Zeit vergeht gefühlt deutlich langsamer als auf dem Hinweg. Der Himmel ist nach wie vor mit grauen Wolken verhangen, bislang ist es trocken geblieben, ob dieses Glück auch auf der zweiten Teilstrecke anhält, wage ich nicht einzuschätzen.
Schließlich erreichen wir den Ortsrand, ein paar Spaziergänger kommen uns entgegen, der ein oder andere spendet Applaus oder aufmunternde Worte, während wir vorbeiziehen. Im Ort führt unser Weg zunächst durch eine Gewerbestraße, bis wir auf die Hauptstraße treffen, in der Ferne ist bereits die Beschallung des Sportplatzes zu hören. Am Sportplatz selbst teilt sich der Weg, die 30 Kilometer Läufer biegen links ab, in Richtung Torbogen, die Ultraläufer müssen hingegen geradeaus weiter auf die zweite Runde. Im Stadionbereich steht ein weiterer Versorgungspunkt bereit, den ich ansteuere. Mein Blick fällt auf die Uhr 2:52 für Runde 1, damit kann ich zufrieden sein.

Das Rennen – Runde 2 „Keltentrail“

Ich gönne mir zwei Becher Cola, oder versuche es zumindest, mit dem schlapperigen Silikonbecher landet mindestens genauso viel auf meiner Läuferkluft wie in mir. Des Weiteren greife ich bei den Salzbrezeln zu. Mit einem vollen Becher und den Knabbereien in der Hand mache ich mich langsam auf den Weg. Der schnelle Teil des Rennens ist vorüber, ich rechne nun mit einigen harschen Anstiegen und entsprechend mit einigen gewanderten Abschnitten.
Ich marschiere eine Straße entlang, bis ich meine Versorgung abgeschlossen habe, und trabe dann langsam an. Ich biege ab und steuer auf den Ortsausgang zu, eine kurze Rampe leitet den ersten langen Anstieg ein. Das erste Stück laufe ich, wechsel dann aber schnell in den Gehschritt. Der Weg ist steil, jedoch aus Beton und somit prinzipiell laufbar, ich möchte mir meine Kräfte sparen, es werden sicher noch schwierigere Abschnitte kommen.

Nach einer Kehre flacht der Weg ab und geht in einen Schotterweg über, also wieder antraben. Ich trabe an einem Hang entlang, rechts geht es stramm bergan, links unter mir liegt die Ortschaft. Nach einigen Minuten biegen wir ab und ich wechsel wieder in den Gehschritt, ein Betonweg führt steil bergan, so stei,l dass selbst im Gehschritt, die Muskeln nach wenigen Minuten brennen. Ich beneide den Läufer vor mir um seine Trailstöcke, mit dieser Hilfe ausgestattet zieht er nach kurzer Zeit aus meinem Sichtfeld. Wir passieren einige eingezäunte Weiden, ein paar Schafe schauen unbeeindruckt unserem Treiben zu, nach einem Stück offenen Geländes tauchen wir schließlich in den Wald ein.

Es wird noch einmal etwas steiler, nach einer Kurve sehe ich einige Helfer am Wegesrand sitzen die uns nach links lotsen, der Weg flacht ab, der erste Anstieg scheint geschafft zu sein. Ich gehe noch ein paar Schritt, gebe meinen Puls Gelegenheit etwas herunterzufahren, eh ich wieder antrabe. Wir folgen einem breiten, mit Blättern übersehten Waldweg, hohe Bäume ragen zu beiden Seiten in den Himmel, hohe Sträucher und Jungbäume an den Seiten formen den Eindruck eines grünen Tunnels, durch den wir traben.

Wir durchlaufen eine Kurve und verlieren dabei einige Höhenmeter, dann stoßen wir erneut auf einige Helfer die uns nach rechts, auf den ersten richtigen Trail der Strecke schicken. Es geht wieder bergan, wir durchlaufen eine Rinne, die anfänglich mit dicken Steinbrocken ausgelegt ist, bald weichen die Steine und werden durch herumliegende Äste und Unterholz abgelöst. Ein umgestürzter Baum versperrt den Weg, ich übersteige ihn auf der linken Seite und setze meinen Anstieg fort. Der Weg flacht etwas ab und ermöglicht verhaltenes Traben, bis wir erneut umgeleitet werden, mein erster Eindruck: Ich stehe vor einer grünen Wand. Ein schmaler Singletrail arbeitet sich den Berg hinauf, weiter oben kann ich einen Läufer erkennen, der im Dickicht verschwindet.

Der Boden ist mit Steinen, Wurzeln, Laub und kleinen Ästchen überseht, eine rutschige Mischung. Ab und zu greife ich nach Bäumen, um mir zusätzlichen Halt zu verschaffen. Meine Beine brennen, Puls rast, Schweiß läuft, was bin ich über die kühlen Temperaturen froh. Nach wenigen, aber sehr langen, Minuten wird es zumindest etwas flacher, ab und zu trabe ich für einige Schritte an, aber es dauert nie lange bis ein Anstieg oder schwieriges Gelände mich wieder in den Gehschritt zwingt.
Mit Wegmarkierungen wurde nicht gegeizt, gefühlt hängt an jedem zweiten Baum ein Stück Flatterband, einige tückische Steine wurden ebenfalls mit Sprühfarbe markiert. Hier und da finden sich kleine Motivationshilfen, wie ein, auf einem umgestürzten Baum aufgemaltes „Spring!“. Trotz der Strapazen macht dieser Abschnitt richtig Spaß, das liegt vor allem an dem abwechslungsreichen Gelände.

Schließlich kann ich vor mir ein Metallgeländer ausmachen, wenig später stolper ich auf einen offenen Platz, ein großes Kreuz prangt auf dem Platz, dahinter ein Aussichtspunkt, der den Blick auf das umliegende Gelände preisgibt. Ich nehme mir eine Minute die Aussicht zu bestaunen.

Da Kreuze normalerweise oben auf dem Berg stehen, gehe ich davon aus, den ersten Anstieg nun wirklich geschafft zu haben. Mein Blick fällt auf meine Startnummer, auf dieser ist das Höhenprofil skizziert, wenn ich annehme mich auf der Spitze des ersten, der zwei großen, Reißzahnes zu befinden, liegen nun einige Kilometer ohne größere Anstiege vor mir. Auf steifen Beinen trabe ich wieder an, folge für ein paar Minuten einen Wiesenweg bis ich auf ein Waldstück zusteuer, unser Weg führt nach links und erneut bergan – das Kreuz lügt: Nach einem kurzen Anstieg erreichen wir eine Wiese und werden dort, erneut von Helfern, nach rechts geschickt, hier beginnt ein extrem steiler Pfad, der dicht an einer Abbruchkante entlang, nach oben führt. Ich benutze alles als Griffhilfe, was sich anbietet und arbeite mich schnaufend den Hang hinauf.

Ich bin froh als wir die Kante hinter uns lassen und nach rechts in den Wald einbiegen, wenig später biegen wir auf einen breiteren Wiesenweg ein und passieren einen Sendeturm. Wenn schon auf Kreuze kein Verlass ist, dann auf Sendetürme, jetzt scheint der erste Berg wirklich erklommen zu sein.
Der Wiesenweg geht in einen Trail über und der Abstieg beginnt. Wir laufen über Stock und Stein, mal mehr mal weniger steil. Der Boden ist rutschig, ich trabe verhalten, fühle mich auf solchen Abschnitten immer unsicher. Mehrfach schere ich seitlich aus, um einen schnelleren Läufer Platz zu machen. Umgestürzte Bäume, herumliegende Äste, felsiger Untergrund, tiefhängende Äste, für ein paar Minuten wird das komplette Repertoire an Hindernissen abgerufen.

Dann taucht vor mir ein Rastplatz aus, ich laufe eine letzte Rampe hinab, vorbei an einer Hütte, Bänken und Feuerstelle und biege auf einen breiten Weg ein, der weiter bergab führt. Für ein paar herrliche Minuten kann ich es rollen lassen, dichter Wald fliegt an beiden Seiten von mir vorbei. Ich spüre deutlich, dass der letzte Anstieg, einige Körner gekostet hat, ich esse ein wenig und versuche mich, so gut wie möglich zu erholen. Der Weg biegt in einen kleinen Trail ein, hätte man übersehen können, würden einem nicht dutzende Pfeile und Bänder den Weg weisen. Ich nehme etwas Tempor aus, doch dieser Trail lässt sich vergleichsweise gut laufen, viel griffiger als der Beginn des Abstieges.

Wir stoßen wieder auf einen breiten Waldweg, leicht wellig, problemlos laufbar, geht es etwa einen Kilometer lang dahin. Wir überqueren eine Kuppe, Waldweg wird durch Beton abgelöst und etwas unter mir kann ich den nächsten Versorgungspunkt ausmachen. Ich greife zu, mehrere Becher Cola, etwas Knapperzeug, essend und trinkend gehe ich langsam weiter und überquere dabei eine Landstraße. Die Feuerwehr sichert meine Überquerung ab, welch ein Luxus.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite beginnt ein langer Aufstieg. Soweit mein Blick reicht, geht es stur gerade aus. Im losen Abstand marschieren Läufer hinauf, ich Reihe mich ein. Diese Gehpause ist willkommen, ich kann mich in Ruhe zu versorgen und verliere dabei nicht mal viel Zeit. Der Weg ist breit und gut ausgebaut, kein Vergleich zu jüngsten gekraxel, fast schon geschenkte Höhenmeter.

Fast einen Kilometer geht es so dahin, zügig stapfe ich den Berg hinauf. Nach einigen Minuten taucht eine Kreuzung mit einigen Helfern vor mir auf, einige, schnellere Läufer kommen mir entgegen werden von den Helfern in den Wald geschickt und verschwinden rechts aus meinem Sichtfeld. Eine Weitere Schleife denke ich mir, ich selbst werde auch nach rechts geschickt jedoch nicht bergab, sondern zunächst auf einen schmalen Trail. Der Pfad beginnt eben, ich trabe verhalten, Steine, Äste, umgestürzte Bäume, in den Weg hineinragende Sträucher und immer wieder kurze Rampe mahnen zur Vorsicht. Da diese Warnung anscheinend nicht ausreicht, ramme ich mir meinen rechten Fuß schmerzhaft gegen einen der Steine, wobei es der kleine Zeh ist, der den Großteil der Wucht abbekommt. Ich stolpere und kann nur mit einem beherzten Ausfallschritt den Sturz vermeiden. Leises fluchen, pochender Zeh, ein paar humpelnde Schritte, dann ebbt der Schmerz ab – alles gut gegangen und ich setze meinen Weg, noch etwas vorsichtiger fort.
Der Pfad wird steiler und kraxeliger, an Laufen ist nicht mehr zu denken, keuchend arbeite ich mich den Hang hinauf. Bodenbeläge wechseln sich ab, Steine, Wurzeln, teilschlüpfriges Moos, Felsen, Steigung wechselst zwischen „anstrengend“ und „uff“.

Der letzte Teil des Anstiegs sorgt für den langsamsten Kilometer im ganzen Rennen, fast 12 Minuten benötige ich, habe aber das Gefühl deutlich langsamer unterwegs zu sein. Endlich wird es flacher. Wir erreichen eine Kreuzung, entgegenkommende Läufer weisen auch hier auf eine Wendestelle hin. Der Pfad windet sich durch durchsägte Bäume und über Felsen hinweg, dann weitet sich das Gelände vor und wir erreichen einen Aussichtspunkt. Vor uns liegen alte Grundmauern, eine Informationstafel würde berichten, um was es sich handelt, im Hintergrund liegt weiteres Land über verhangenen Himmel. Diesmal fehlt mir die Muse zum Innehalten und den Ausblick genießen, ich habe das Gefühl sehr viel Zeit verloren zu haben, außerdem bin ich durchgeschwitzt und hier oben zieht es ordentlich. Ich laufe den vorgesehenen Bogen um das Gelände herum, bis ich wieder auf den Pfad des Hinweges stoße. Auf dem Rückweg zur Kreuzung kommen mir sowohl Läufer als auch Wanderer entgegen, anscheinend habe ich gerade einer lokalen Sehenswürdigkeit die kalte Schulter gezeigt.

Der Trail vor mir wird immer ruppiger, ich laufe auf felsigen Grund und muss mich unter umgestürzten Bäumen hindurchducken. Der Boden ist klamm und rutschig. Langsam arbeite ich mich wieder den Hang hinab und mache erneut für schnellere Platz, Downhill Trail ist einfach nicht meine Stärke. Wie schon beim ersten „Reißzahn“ dauert es nicht lange bis der ruppige Trail zunächst in einen zahmeren übergeht und schließlich in einen bequem zu laufenden Waldweg einmündet. Wenig später erreiche ich eine große Kreuzung, bekannte Helfer stehen parat und weißen mich an mich links zu halten, ich habe meine Schleife abgeschlossen und bin nun wieder auf den Weg hinab in Richtung des Versorgungspunktes. Ich bin überrascht wie viele Läufer sich noch auf den Weg den Berg hinauf befinden, gefühlt war ich ewig unterwegs, in Wahrheit waren es keine 25 Minuten.

Bergab kann ich es wieder rollen lassen. Ich genieße das, wie oft bin ich in den letzten Jahren die Berge raufgekraxelt und musste einen genauso beschwerlichen Abstieg in Kauf nehmen, hier kann ich unbeschwert laufen und abgegebene Höhe in Tempo umsetzen. Nach gut einem Kilometer erreiche wieder die Landstraße, die Feuerwehr stoppt erneut den Verkehr, um mir das sichere und (ohnehin bedeutungslosen) zeitverlustfreie Überwechseln zu ermöglichen. Erneut kehre ich am Versorgungspunkt ein, diesmal kürzer, etwa sieben Kilometer sollten noch vor mir liegen, nicht mehr weit bis ins Ziel. Während ich meinen Becher schlürfe (schon verlustfreier als bei den ersten Versuchen), werfe ich einen Blick auf das Streckenprofil auf meiner Startnummer: Ein nennenswerter Hügel liegt noch vor mir, der Anstieg wirkt jedoch flacher und ich bin zuversichtlich, heute nicht mehr kraxeln zu müssen.
Nachdem ich die Rampe, direkt nach dem Versorgungspunkt überwunden und meinen Becher geleert habe, trabe ich an. Ich biegen nach rechts ab und folge einem breiten Waldweg. Nachdem sich die zweite Runde bislang sehr abwechslungsreich gezeigt hat, wirkt dieser Abschnitt sehr monoton: Wald zu beiden Seiten, gefühlt geht es beständig leicht bergan. Meine Aufmerksamkeit auf meine Umgebung schwindet, Zeit und Kilometer vergehen. Plötzlich erwache ich aus meinem Halbschlaf: „Wann hast du eigentlich die letzte Wegmarke gesehen?“ Geht es mir durch den Kopf und ich habe keine Ahnung. Seit betreten dieses Weges kann ich mich weder an Abzweigungen noch an Markierungen erinnern. Ich werde langsamer und schaue mich um, kein Läufer vor mir, kein Läufer hinter mir, ich suche nach Sprühpfeilen auf dem Weg, oder Flatterband in den Bäumen – nichts, weder vor noch hinter mir. Ich bin maximal verunsichert, überlege umzudrehen, versuche mich angestrengt an Abzweigungen zu erinnern. Da war wirklich eine, aber da war auch eine Markierung, wie lange ist das her? Fünf Minuten? Oder nur drei? Bislang konnte man sich immer darauf verlassen, dass wenigstens eine Markierung im Sichtbereich lag. Letztlich entscheide ich mich dafür erst einmal weiter zu traben, langsam, zum einen, weil der beständige Anstieg an meinen ohnehin knappen Energiereserven zerrt, zum anderen, um sicherzugehen, keinen weiteren Hinweis zu verpassen.

Qualvolle Minuten vergehen, dann endlich Gewissheit: Ein Stück Flatterband in einem Gebüsch, ich bin richtig. Der Weg unter meinen Füßen mutiert, zunächst macht sich hohes Gras breit und verlangsamt mein vorankommen, dann biegen wir in einen Trail ein. Es wird noch einmal anstrengend, eine kleine Rampe hinauf, und über einen umgestürzten Baum hinweg, dann entdecke ich vor mir Helfer, hier hat der Trail zum erklimmen des ersten „Reißzahnes“, vor einer gefühlten Ewigkeit, begonnen. Beschwingt Grüße ich die Helfer, die mich, aus ihren dicken Wolldecken heraus anfeuern, die Anstiege sind geschafft.

Für ein paar Minuten bin ich noch auf Trailboden unterwegs, dann biege ich zunächst in einen Waldweg ein, vorbei an weiteren Helfern und gelange schließlich auf einen betonierten Weg, der hinab in Richtung Ortschaft führt. Mein Blick fällt, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, auf meine Uhr, ca 5:15 und nicht mehr ganz drei Kilometer vor mir. Auf jeden Fall eine bessere Zeit als erwartet. Wenn ich mich anstrenge, schaffe ich es vielleicht noch, unter 5:30 zu bleiben. Ob das gelingt ist ähnlich bedeutungsvoll als der berühmte Sack Reis der nun umfällt oder eben nicht, im Augenblick motiviert es mich noch einmal verbliebende Kräfte zu mobilisieren, dass ist alles was zählt.
Ich laufe an den Ziegen vorbei, wechsel auf Schotterweg, zu meiner rechten Seite sehe ich bereits die Ortschaft, kann die Durchsagen im Stadion schon hören. Ich durchlaufe eine Kehre, biege links ab und laufe in die Ortschaft hinein, mein Blick fällt zur Uhr, das wird verdammt knapp. Ich beschleunige noch etwas, laufe durch eine Seitenstraße, vor mir liegt die Hauptstraße, schaue nach links und rechts, Feuerwehrleute die mich absichern, setze über und laufe am Sportplatz entlang. Ich biege ein, jetzt trennt mich nur noch eine Ehrenrunde über den Platz vom Zielbogen. Auf dem weichen Wiesenboden kostet das kraft, noch 15 Sekunden, ich setze zum Zielsprint an, höre meinen Namen vom Stadionsprecher verlesen, überquere die Zeitmatte und stoppe die Uhr… bei exakt 5:30:00, Punktlandung!

Im Ziel

Ich gehe hinüber zum Versorgungsstand, trinke etwas, esse etwas. Ich bin glücklich und zufrieden, nicht nur mit dem Ergebnis, sondern das ich, trotz schlechter Vorbereitung, alles im allen, recht problemlos durchgekommen zu sein. Da es recht kühl und windig ist, und ich komplett durchgeschwitzt bin, halte ich mich nicht lange im Zielbereich auf. Am nächsten Stand nehme ich mein Finishershirt in Empfang, schmeiße mich am Auto in saubere Klamotten, Duschen ist wegen Coronaauflagen nicht möglich, und mache mich auf den Heimweg.

Fazit

Deutschland war einmal zweigeteilt, die Veranstaltung beschäftigt sich mit dieser düsteren Zeit, der Lauf ist es hingegen noch: 30 vorrangig einfache und 20 anspruchsvolle (aber dennoch für jedermann bewältigbare) Kilometer. Beide Strecken haben ihre Reize. Auf dem ersten Abschnitt fand ich es lediglich schade, einen recht großen Anteil zweimal ablaufen zu müssen, vielleicht findet sich ja eine Alternative in den nächsten Jahren. Aber auch wenn nicht, würde ich definitiv wieder kommen.
Besonders beeindruckt hat mich der große personelle Aufwand, der betrieben wurde, so viele Helfer habe ich selten auf einer Strecke gesehen. Ebenfalls wurde nicht mit Wegweisern gegeizt. Die Verpflegungsstände waren gut ausgestattet, und die Abstände zwischen den Stationen nicht sonderlich groß.
Kurzum: Ich komme gerne wieder und kann die Veranstaltung besonders Trail- oder Ultraeinsteigern empfehlen.

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